4. Juli 2014

Auf Tuchfühlung mit Gott

Mariä Geschirrtuch

Alle sieben Jahre werden im Dom zu Aachen vier wertvolle Tuch­reliquien aus dem ansonsten verschlos­senen Marien­schrein der Öffent­lich­keit präsentiert und locken zur Heilig­tums­wall­fahrt 100.000 Pilger aus aller Welt in die Stadt. Neben einigen Klei­dungs­stücken sorgt insbesondere die Windel Jesu für großen Andrang. Dom­mitarbei­ter nehmen Wall­fahrts­tücher der Pilger entgegen und berühren damit die ausgestellten Reliquien.

Auf die Frage einer Pilgerin, was es mit dem Berühren der Figüren auf sich habe, erklärte ein Mitarbeiter des Doms voller Inbrunst: „Ja, man glaubt da dran, sag ich jetzt einfach mal, äh, daß man durch die Berührung bzw. daß man da …, äh … entsprechend … äh, wie soll ich sagen … geschützt wird. Im Leben.“ Das überzeugt, und so beschließt die Dame, sich auch schützen zu lassen. Wenige Sekunden und eine kurze Berührung ihres Tuches mit der Reliquie später braucht sie sich nicht mehr zu fürchten, daß ihr der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

Für besonderes Aufsehen sorgte auch schon im Vorfeld ein braunes Tuch, welches trotz einer gewissen Ähnlichkeit mit einem zusam­men­gefal­teten Kartoffel­sack als angebliche Windel Jesu präsentiert wird. Es bleibt zwar ein Rätsel der Reli­gions­ge­schichte, warum ein all­mäch­tiger Gott lange nach Erschaf­fung des Univer­sums noch eine Windel braucht und seine Mutter diese auch noch für die Nachwelt aufbewahrt, aber da sie auch ihr Kleid aus der Heiligen Nacht, deren Datum nebenbei bemerkt erst im 4. Jhd. festgelegt wurde, offen­sicht­lich direkt nach der Geburt in die Wasch­maschine steckte, um es von Blut­flecken zu reinigen, wird sie sich vermutlich etwas dabei gedacht haben.

Einmalige Sonderschau

größeres Bild Präsentation von Mariä Geschirrtuch

In Rahmen einer seltenen Sonder­schau wurden erstmals auch zwei weitere, bis dato selbst der Fachwelt unbekannte Reliquien der Öffent­lich­keit präsentiert. Ein weiß-blau kariertes, etwas zer­knit­ter­tes Tuch wurde von einem nicht minder zer­knit­ter­ten Kirchen­vertreter der staunenden Menge als Mariä Geschirr­tuch vorgestellt, mit welchem sie der Über­liefe­rung nach nicht nur Josephs all­abend­lichen Bierkrug säuberte, sondern insbesondere die Fläsch­chen und Schnuller ihres kleinen Göttchens.

größeres Bild Die weltweit einzige Reliquie vom Toiletten­papier Jesu

Ein geheim­nis­voller Streifen Papier auf einer hoch­wertigen hölzernen Rolle schließlich sorgte für andäch­tiges Raunen in der Menge, handelte es sich hierbei doch um die weltweit einzige bekannte Reliquie von Jesu Toi­letten­papier. Das extra­sanfte, dreilagige, eines Gottes würdige Zellulose-Meister­werk führte zu zahl­reichen spontanen Gefühls­aus­brüchen unter den Gläubigen, unterstrich es doch mehr als jede andere Reliquie ins­beson­dere die mensch­liche Seite des Gottes­sohnes.

Die Überraschung war der Kirche gelungen. Viele Gläubige nutzten diese einmalige Gelegen­heit, eilten nach Hause und holten eigene Toiletten­papier­rollen, um diese segnen zu lassen. Eine Berührung des heiligen Papiers mit der eigenen Rolle reinige die Darmflora, beuge Rektal­beschwer­den wie z. B. Hämor­rho­iden vor und sorge für festen, heiligen Stuhl, so die Kirchen­vertreter.

Kritik

Skeptiker sehen diese infantile Form des Glaubens allerdings seit je her ausge­spro­chen kritisch. Aus all den weltweit kursierenden Tuch­reliquien und den unzähligen Holz­splittern aus dem angeblichen Kreuz Jesu ließe sich ein hoch­see­taug­liches Schiff konstruieren, heißt es. Auch dürfte es zu Zeiten Jesu noch überhaupt kein dreilagiges Toiletten­papier gegeben haben, die Reliquien könnten also in keinster Weise echt sein. Die historische Authentizität der vier anderen zuvor gezeigten Tuch­reliquien ist ähnlich zweifelhaft. Einer wissen­schaft­lichen Unter­suchung stimmt die Kirche bis heute allerdings nicht zu. Die offizielle Begrün­dung der Ablehnung stützt sich auf das Alter und die ver­meint­liche Empfind­lichkeit der Tücher. Das hält die Kleriker jedoch nicht davon ab, die angeblich so wert­vollen Stoffe zahlreich in die Hand zu nehmen und mit tausenden anderen Gegen­stän­den der Gläubigen in Kontakt zu bringen. So empfind­lich, wie die Kirche behauptet, können die Fetzen also offen­sicht­lich nicht sein, zumal eine wissen­schaft­liche Unter­suchung schon mit kleinsten Stoff­proben ohne nennens­werte Beschä­di­gung möglich wäre. Die Kirche wird schon wissen, warum sie sich so vehement dagegen wehrt.

All den kritischen Stimmen hält der Aachener Bischof Heinrich Mus­sing­hoff entgegen, daß es beim Glauben an eine Reliquie ohnehin gar nicht auf deren Echtheit ankäme. „Beweise, ob sie echt sind oder nicht, treffen nicht das Wesentliche“, sagte er bei der letzten Wallfahrt 2007 der „Aachener Zeitung“. Auch der Trierer Bischof Stefan Acker­mann warnt davor, mittel­al­ter­liche Reliquien­vereh­rung zu belächeln. Wall­fahr­ten könnten die Menschen lehren, nicht an der Oberfläche hängen­zu­bleiben, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen, so der Bischof. Sie seien „Seh­schulen für die Tiefen­dimen­sion des Lebens, für die Gegenwart Gottes in der Welt“. In einer Windel.

Für Reliquien­händler und -fälscher, die Kirchen und andere organisierte Kriminelle zählt letzten Endes eben doch nur ein prall gefüllter Klingel­beutel, denn mit dem schamlosen Ausnutzen mensch­licher Dummheit und Leicht­gläubig­keit läßt sich seit je her das meiste Geld scheffeln. Auch 2021 werden mit großer Wahr­schein­lich­keit wieder 100.000 Schafe nach Aachen trotten und angesichts Jesu ver­meint­licher Windel vor lauter Verzückung gar nicht merken, wie sie im wahrsten Sinne des Wortes beschissen werden.

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