22. November 2013
Traditionsunternehmen vor dem Aus
Hölle wird geschlossen
Ein weiteres Familienunternehmen mit jahrtausendealter Tradition muß seine Tore schließen: In vorsichtigen Worten erklärte am 9. November der Erzbischof von München-Freising, Reinhard Kardinal Marx, die Kirche müsse für ihre Verkündung der Hölle Buße tun. Doch diese blumige Aussage bedeutet nichts Geringeres, als daß die Hölle geschlossen wird. Den Dämonen droht die Obdachlosigkeit.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Fegefeuer. „Wir alle sind entsetzt und zu Tode betrübt“ ließ der Teufel durch einen gehörnten Sprecher ausrichten. Er selbst fühle sich im Moment nicht zu einem Interview in der Lage. Viele der Dämonen und zivilen Mitarbeiter schlichen betrübt umher oder übten sich in Galgenhumor, wenn das Gespräch auf Kardinal Marx komme: „Zur Hölle mit ihm!“ Andere sind sichtlich geschockt: „Was sollen wir denn jetzt tun? Wir haben doch nichts anderes gelernt. Es mag für Ungläubige komisch klingen, aber wir haben Angst!“ sagte ein kleiner Dämon, der unerkannt bleiben möchte. Ein anderer, den Tränen nahe, pflichtet ihm bei: „Das ist alles, was wir haben. Da hinten in der Ecke, der stinkende Schwefelsee, der ist nur für die komischen Christen, die wollen das so. Aber der Rest, das ist doch unsere Heimat! Das können die uns doch nicht einfach so wegnehmen.“ Es herrscht pure Verzweiflung unter den dunklen Gestalten.
Allerdings überrascht dieser Schritt nicht alle – gemunkelt worden war schon seit langem. Spätestens seit der willkürlichen Schließung der Eckkneipe „Zur Vorhölle“ im Jahr 2007 machten immer wieder Gerüchte über eine zunehmende Gleichgültigkeit unter den Gläubigen gegenüber der Hölle und dem Fegefeuer die Runde. Schon damals befürchteten vor allem viele der alteingesessenen Kreaturen, daß ihre wohlig-warme Heimat eines Tages in völliger Bedeutungslosigkeit versinken und geschlossen würde. Nun scheint dieses Schicksal wohl unabwendbar.
Am meisten verärgert die Dämonen jedoch, daß sie praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Von Seiten der Kirche hieß es nur lapidar, auch von den Mitarbeitern der Hölle würde „selbständiges Bemühen um Anschlußverwendung“ sowie ggf. eine anderweitige berufliche Qualifikation erwartet.
Die ersten betriebstemperaturbedingten Kündigungen wurden bereits verschickt. Dabei ist noch nicht einmal klar, ob die Betroffenen ggf. Anspruch auf Sozialleistungen nach dem Schmertz‑IV-Regelsatz haben. Schon werden Forderungen laut, der Vatikan möge seine nun ebenfalls von der Arbeitslosigkeit bedrohten Exorzisten umschulen zu Dämonenschützern sowie seelsorgerisch tätigen Hellworkern. Diese sollten sich um die von Obdachlosigkeit bedrohten Kreaturen kümmern, um deren Abgleiten auf die ehrliche Bahn zu verhindern. Das wäre ja wohl das Mindeste.
Kritik kommt allerdings auch aus eher unerwarteter Ecke. Vor allem erzkonservative katholische Kleriker fühlen sich aufs Kreuz gelegt und beklagen diesen drastischen Schritt, da sie sich in ihrer freien Religionsausübung sowie dem selbstgegebenen Recht auf Machtmißbrauch verletzt sehen. Seit nunmehr über 2.000 Jahren bot ihnen die Hölle die Möglichkeit, ihre Gläubigen in Angst und Schrecken zu versetzen und somit unter Kontrolle zu halten. Doch jetzt sehen sie ihre Schaffelle davonschwimmen. Ohne die Einschüchterung und lebenslange Traumatisierung kleiner Kinder durch Androhung von Höllenqualen sei ein erfülltes katholisches Priesterleben kaum noch möglich, heißt es. Einige stellten gar die Frage, ob sie auf dieser Erde überhaupt noch erwünscht seien.
Da sich wieder einmal gezeigt hat, daß religiöse Konzepte vollkommen beliebig sind und jederzeit von Kirchenvertretern geändert oder gar komplett abgeschafft werden können, reagieren auch andere Gemeinschaften zunehmend verstört. So stellen sich auch bereits die Engel im Himmel mit großen Sorgenfalten in den Flügeln die Frage: Sind wir die nächsten?