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2016

27. Dezember 2016 (Aktualisiert: 12. März 2017)

Mythos Flache Erde

Wahrheits-er-findung

Anhänger des Flache-Erde-Mythos sind ein sehr selektives Völkchen. So selektiv, wie sie in der Auswahl ihrer „Fakten“ und angeblichen Belege für ihr Scheiben­modell sind, so einfach gestrickt ist auch ihr Feindbild – schuld ist immer die NASA. Akribisch werden Dokumente und Bilder durchkämmt, um zu „beweisen“, daß alles von der NASA veröffentlichte Material plumpe Fälschungen sind. Und wenn das nicht reicht, dann wird eben selbst etwas gefälscht.

Sämtliches Bildmaterial der NASA ist computer­generiert, so der unum­stöß­liche und grundlegende „Fakt“ der Flache-Erde-Apologeten. „CGI“ und „Photoshop“ sind dabei die Standard­worte, wenn es um das Entlarven der vermeintlichen Lügen der NASA geht. Viele scheinen dabei nicht einmal zu wissen, was sich hinter diesen Begriffen eigentlich verbirgt, sondern plappern einfach nur stumpf das nach, was sie in zahlreichen YouTube-Videos von Flache-Erde-Evangelisten wie z. B. Eric Dubay „gelernt“ haben bzw. nutzen diese Schlagworte, um ihrer inhaltlich doch eher feder­leichten Aussage scheinbar Gewicht zu verleihen.

Heutige Aufnahmen der Erde und von Himmels­objekten sind tatsächlich nahezu immer Nach­be­arbei­tungen am Computer, das macht sie aber deswegen noch lange nicht zu rein computer­generiertem Material. Die NASA gibt zudem offen zu, daß – sofern nötig(!) – Photoshop und ähnliches zum Einsatz kommen, z. B. wenn aufgrund der Bahn eines Satelliten die Erd­ober­fläche nicht vollständig abgedeckt wird und es somit Lücken in den aufge­nom­menen Bilddaten zu schließen gilt. Dieses „sofern nötig“ wird von Flache-Erde-Anhängern allerdings ausnahmslos als „immer“ interpretiert – eine bewußte Verdrehung der Tatsachen. Dazu weiter unten mehr.

Vollends absurd wird die Behauptung, wenn man Fotos aus der Anfangs­zeit der Raumfahrt betrachtet. Es existieren erste Aufnahmen der Erde aus dem Jahr 1959, aufge­nom­men von der Raumsonde Explorer 6[1] und natürlich zahlloses weiteres Material von nach­folgen­den Missionen bis hin zu den Apollo-Flügen. Zu dieser Zeit war die Computer­technik allerdings noch längst nicht so weit entwickelt, um derart komplexe Bilder künstlich zu erzeugen, von gerenderten Videos ganz zu schweigen.

Auch das gebetsmühlenartig angeführte Photoshop wurde erst rund 20 Jahre später entwickelt und 1990 erstmals veröffentlicht, was die Flacherdler allerdings nicht davon abhält, z. B. bereits bei Fotos der Apollo-17-Mission aus dem Jahr 1972 entsprechende Bild­mani­pulatio­nen zu unterstellen. Will man jemanden einer Lüge überführen, benutzt hierzu aber selbst eine Lüge, was ist das dann? Verleum­dung und vorsätzlicher Betrug.

Einige Beispiele.

Apollo 17

Foto: NASA

größeres Bild Apollo 17

Unter Flache-Erde-Anhängern wird gerne ein Bild der Apollo-17-Mission verwendet, welches den US-Astronauten Harrison H. Schmitt neben der US-Flagge auf dem Mond zeigt, im Hintergrund rechts oben die gut zur Hälfte beleuchtete Erdkugel. Ver­schwö­rungs­theo­retiker sehen in dem Motiv der angestrahlten Erde den Beweis für eine Fälschung. Nimmt man nämlich das auf der NASA-Website veröffentliche Foto und spielt etwas mit den Werten für Helligkeit und Kontrast herum, so erscheinen plötzlich rechteckige Strukturen um den halben Erdball herum, welche als Zeichen dafür gedeutet werden, daß dieser Teil des Bildes nachträglich hineinkopiert wurde. Diese Behauptung ist sehr populär und wurde anhand eines anderen, jedoch ganz ähnlich aufgebauten Bildes auch von Eric Dubay in seinem Pamphlet „200 Beweise, daß die Erde keine rotierende Kugel ist“ aufgegriffen. Schaut man allerdings etwas genauer hin, offenbart sich ein Problem.

Auf der offiziellen NASA-Website ist das Foto in zwei verschie­denen Auflösungen verfügbar. Bei einer Manipulation des Bildmaterials würde man davon ausgehen, unabhängig von der Auflösung dieselben ver­räterischen Strukturen finden zu können. Vergleicht man beide Bilder, ist das auch der Fall, jedoch haben die Strukturen in dem höher aufgelösten Bild eine völlig andere Form und sind zahlreicher. Was zudem ebenfalls gerne unterschlagen wird, ist die Tatsache, daß sich ganz ähnliche Strukturen jeweils im gesamten Bild wiederfinden, nämlich an jeder Art von kontrast­reicher Kante.

größeres Bild JPEG-Artefakte in unter­schied­lich hoch auf­gelös­ten Versionen des NASA-Fotos

Das Rätsel löst sich ganz leicht, wenn man sich anschaut, in welchem Bildformat die ver­öffent­lichten Fotos gespeichert sind – JPEG, ein verlust­behaf­tetes Bildformat, um Fotos möglichst platzsparend speichern zu können. Das, was Eric Dubay und andere als angeblichen Beweis für eine Fälschung anführen, sind nichts weiter als Überreste (sogenannte Artefakte) der Daten­kompres­sion durch JPEG. Das erklärt auch die unterschiedliche Form in den verschiedenen Versionen des Fotos, die dennoch alle dieselbe 8x8-Pixel-Blockstrutur aufweisen, wie sie der Algorithmus hervorbringt.

Wenn man sich auf die Jagd nach vermeintlichen Fälschungen begeben will, dann sollte man zunächst einmal sicherstellen, mit verlustfrei gespeichertem Bildmaterial zu arbeiten und nicht mit Daten, welche bereits aufgrund technischer Gegeben­heiten zwangsläufig verfälscht bzw. in Teilen zerstört sind. Das JPEG-Format ist für derartige Bildanalysen vollkommen ungeeignet.

Raumsonde Galileo

Foto: NASA

größeres Bild Blick auf die süd­liche Erd­halb­kugel im Abstand von 24 Stunden

Ein weiteres gern angeführtes Beispiel für eine angebliche Fälschung der NASA sind Aufnahmen der Erde von der Raumsonde Galileo aus dem Jahr 1990. Als Zeitraffer zusam­men­ge­schnit­tene Einzelbilder zeigen eine komplette Drehung der Erde innerhalb von 24 Stunden mit Sicht der Sonde auf die südliche Hemisphäre[2][3]. Die Behauptung: Das Video ist gefälscht, da keinerlei Wolken­bewe­gungen erkennbar wären.

Ganz abgesehen davon, daß die NASA sicherlich nicht so dumm wäre, bei einer tatsächlichen Fälschung sich einen derart eklatanten Fauxpas zu erlauben, zeigt die Behauptung einmal mehr entweder die völlige Inkompetenz der Flache-Erde-Anhänger, weil sie nicht in der Lage sind, zwei einfache Bilder zu vergleichen, oder aber ihre Unredlichkeit bzw. kriminelle Energie, da wider besseren Wissens das Gegenteil von dem behauptet wird, was auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Vergleicht man nämlich den Anfang des Videos mit einem Bild am Ende, somit also 24 Stunden später, sind die Verän­derun­gen in den Wolken­formationen doch ziemlich offensichtlich. Man muß diese schon mit Vorsatz ignorieren, um daraus einen Vorwurf kreieren zu können.

Falsche Sterne

Foto: Alfred-Wegener-Institut

größeres Bild Webcam-Aufnahme der „Neumayer“-Station mit nach­träg­lichen Markierungen im Vergleich zu Stellarium

Eine ebenfalls gern genutzte Methode, den eigenen gebrech­lichen Standpunkt mit Krücken zu stützen, ist die bewußte Fehl­inter­pretation von Bildmaterial. So meinen einige Flache-Erde-Anhänger wie z. B. Matthias Kleespies vom Blog euronia.com, auf Webcam-Bildern der Antarktis-Station „Neumayer“ das Sternbild des Großen Wagens ausgemacht zu haben, welches in der Antarktis gemäß helio­zen­trischem Modell gar nicht zu sehen sein dürfte.

Schaut man sich die Aufnahmen flüchtig an, zeigt sich tatsächlich eine Konstellation, welche entfernt an den Großen Wagen erinnert, aber deutlich verzerrt aussieht. Auch die Begleit­sterne wollen nicht so recht ins Bild passen. Da exakter Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen bekannt sind, läßt sich die Situation in Stellarium nachstellen. Und dann offenbart sich ziemlich eindeutig die tat­säch­liche Konstellation – es ist das Sternbild des Schützen, der vermeint­liche Große Wagen nur eine zufällig ähnlich aussehende Konstellation einiger heller Sterne. Auf qualitativ besseren Aufnahmen der Station zeigt sich dieser Sachverhalt noch sehr viel deutlicher – die Fotos und die Simulation sind praktisch deckungsgleich.

Foto: Alfred-Wegener-Institut

größeres Bild Aufnahme des Himmels über der „Neumayer“-Station im Vergleich zu Stellarium

Diese Behauptung von Matthias Kleespies und anderen Flach­erd­lern ist somit eine reine Lüge. Ob aus Unwissenheit bzw. Dummheit der Autoren oder aber unter bewußter Betrugs­absicht, sei dahin­gestellt. Kleines Detail am Rande: Nur zwei der drei Markierungen der vermeint­lichen Deichsel­sterne in Kleespies’ Bild­bearbei­tung stellen überhaupt Sterne dar – die mittlere Markierung ist reines Bild­rauschen, dort befindet sich real gar kein Stern. Wenn die Fakten nicht ausreichen, dann muß der Flacherdler seiner „Wahrheit“ eben etwas auf die Sprünge helfen.

Wortklaubereien

Abseits von Bildmaterial müssen auch dokumentierte Aussagen von NASA-Mitarbeitern und Astronauten herhalten, wenn die Flache-Erde-Anhänger sich auf die Suche nach vermeintlichem Betrug begeben. Üblicherweise werden die getroffenen Aussagen dabei vollkommen aus ihrem Zusam­men­hang gerissen bzw. in unzulässiger Weise verall­gemei­nert, um den Vorwurf überhaupt erst konstruieren zu können.

Der damalige Stationskommandant der ISS, Terry Virts, wurde 2015 in einem Live-Interview gefragt, wie es nach dem Ende der ISS-Missionen mit der Präsenz der Menschheit im Weltall weitergehen würde[4]. Er erzählte von den Plänen der NASA für die Trägerrakete „Space Launch System“ (kurz SLS), mit welcher erstmals seit Apollo auch wieder Menschen über den niedrigen Erdorbit hinaus transportiert werden sollen. Dann fiel der für die Flache-Erde-Anhänger entscheidende Satz: „Right now we only can fly in earth orbit.“ Dieser vermeintliche Versprecher des Commanders wird als Beleg dafür gesehen, daß die Menschheit noch nie über den niedrigen Erdorbit hinaus gelangt wäre. In unzähligen Videos wird dieser eine Satz, in aller Regel für sich allein stehend, endlos wiederholt, so als wäre es die mit Abstand welt­bewe­gendste Aussage aller Zeiten. Gerne wird auch noch heroische, triumphale Musik unterlegt, gerade so, als hätte Terry Virts soeben die gesamte Menschheit erlöst.

Etwas nüchterner und weniger effektheischend betrachtet, im Zusam­men­hang mit der gesamten Antwort auf die gestellte Frage des Moderators, sieht die Sache allerdings ganz anders aus. Schon der Beginn des Satzes, „Right now“ – „zur Zeit“, wird gerne unterschlagen bzw. als neben­sächlich abgetan. Im ursprüng­lichen Kontext aber wird die Aussage dahingehend klar, daß Flüge über den Erdorbit hinaus zur Zeit eben nicht möglich sind, da hierfür keine entsprechenden Träger­raketen bereitstehen, nicht mehr und nicht weniger. Sie sagt nicht aus, daß es solche Flüge noch nie gegeben hat, weil sie technisch unmöglich seien. Auch die in diesem Zusammenhang gern geäußerte und einen Betrug unterstellende Frage, warum solche Flüge 1970 möglich gewesen sein sollen, aktuell mit weitaus modernerer Technik aber nicht, läßt sich ganz einfach beantworten: Die Pläne der Saturn V existieren noch immer und eine Anpassung an den aktuellen techno­logischen Stand wäre absolut kein Problem, aber es fehlt die gesamte Logistik und vor allem die milliarden­schwere industrielle Infra­struktur, um mal eben eine solche Rakete zu bauen. Die primäre Geldquelle damals waren der Kalte Krieg und der kosmische Wettlauf – der unbedingte Wille, Erster zu sein, koste es was es wolle.

Ein weiteres schönes Beispiel für eine unzulässige Verallge­mei­nerung und somit konstruierte Lüge seitens der Scheibenfans ist eine Aussage des NASA-Mitarbeiters Robert Simmon zu seiner Arbeit am „Blue Marble“, einer realistischen, aber auch künstlerisch inspirierten Darstellung des gesamten Erdballs mit Bild- und Datenmaterial aus verschiedenen Quellen. Von ihm stammt der Satz: „It's photoshopped, but it has to be.“ Man hört die Fanfaren der Flache-Erde-Anhänger schon näherkommen.

Natürlich ist dieses Werk mit einer Bildverarbeitung wie Photoshop erstellt, schon weil es kein direkt als Ganzes aufgenommenes Bild ist, sondern ein aus zahlreichen Aufnahmen, noch dazu von unter­schied­lichen Satelliten, zusam­men­gesetz­tes Werk, welches dennoch möglichst realistisch erscheinen soll. Dabei ergeben sich aber eine Reihe von Problemen, z. B. wenn das Datenmaterial lückenhaft ist, weil der Satellit bei seinen Umrundungen nicht die gesamte Erd­ober­fläche abdeckt. Oder Teile der Landmasse der Erde sind ungünstig von Wolken verdeckt, so daß für diesen Teil auf eine spätere Aufnahme zurückgegriffen werden muß etc. Natürlich erfordern diese Probleme eine Nach­bearbeitung, und natürlich ist es dann auch möglich, daß sich Überreste davon im fertigen Werk wiederfinden, z. B. in kleinen duplizierten Wolken­formatio­nen, um Lücken in den Daten zu füllen.

Eine solche Vorgehensweise ist hier völlig legitim, vor allem, da es sich bei „Blue Marble“ ausdrücklich um keine 1:1-Abbildung der Erde handelt, sondern um ein zwar realistisches, aber durch Simmon auch künstlerisch inspiriertes und interpretiertes Werk. Eines ist jedoch absolut nicht legitim – eine werkbezogene Aussage wie die von Simmon zu verallgemeinern und daraus in bewußter Verleum­dungs­absicht zu schließen, daß alle Bilder und Videos der NASA mit Photoshop etc. erstellt seien und dabei der NASA noch in den Mund zu legen „it has to be“.

[1]
First satellite photo - Explorer VI
[2]
Astronomy Picture of the Day
[3]
Earth rotation time lapse from Galileo
[4]
ISS Crew Discusses Life in Space
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